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Fortschritt auf dem Prüfstand (2)

Die Wirkungen der technischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts auf den Menschen

Medien

und

Mensch

Sie schauen gerade einen spannenden Krimi im Fernsehen?
Wie kann man sich erleben, wenn man einmal sich selbst von außen zu beobachten versucht, während man fernsieht?
Der wahrnehmende Mensch ist in zwei vollkommen verschiedene Erlebniswelten aufgeteilt.
Einerseits ist er seelisch von intensiven Gefühlen erfüllt, die ihn mitreißen und in die vorgeführte Bilderwelt hereinziehen,
und andererseits liegt er ruhig und bequem in seinem Fernsehsessel und greift vielleicht in eine Chips-Tüte.
Es ist hier deutlich zu sehen:

Der fernsehende Mensch ist gespalten.

Zwei der Sinne - Augen und Ohren - sind den Bildern des Apparates hingegeben und reißen das Wachbewusstsein mit sich,
während die übrigen Sinne des Menschen - Tastsinn, Wärmesinn, Geschmacksinn, Geruchssinn, Gleichgewichtssinn usw. -
das warme und gemütliche Zimmer wahrnehmen und die Knabbereien schmecken.

Gefrorene Bewegung

Beseelte Bewegung

Die Spaltung betrifft auch den Bewegungsmenschen.
Vor dem Fernseher,
vor der Tastatur und dem Monitor eines PC
ist er nahezu bewegungslos,
während in seiner Seele unter Umständen
intensive und dramatische Gefühle leben.
 

Medien spalten nicht nur
den 'sinnlichen' Menschen in zwei Teile,
sondern sie trennen auch
den Bewegungsmenschen
vom erlebenden Menschen los.


Der Konsum von Medieninhalten und die Arbeit mit Medien
macht uns tendenziell zu bewegungslosen Kopfmenschen.

Medien berauben uns unserer Bewegungsfähigkeit,
weil sie uns keine Möglichkeit für sinnvolle Bewegung geben.

Viele Kinder können nicht auf einem Bein balancieren.
Der schmale Weg über einen Schwebebalken,
das Springen mit einem Hüpfseil bereitet ihnen
kaum zu bewältigende Schwierigkeiten.

Zu viele Kinder haben in den ersten Jahren ihres Lebens
nicht gelernt, ihren eigenen Körper ausreichend
zu beherrschen.

Das liegt sicher nicht nur am Fernseher und am Spielcomputer, sondern auch an den eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten, in unserer urbanen und technisierten Lebenswelt.
 

Bewegungsmangel

ist ein sehr ernstes Problem
für die kindliche Entwicklung.


Denn die Beherrschung der eigenen Motorik und vor allem der Feinmotorik ist eine wesentliche Voraussetzung für die Ausbildung eines differenzierten Sprachgebrauches und eines selbstständigen und beweglichen Denkens.

Frühkindlicher Bewegungsmangel ist eine schwere Hypothek
für die ganze spätere Biographie. Letztendlich liegt aller Kreativität - egal auf welchem Gebiet - die Fähigkeit zu Grunde, die innere seelische Bewegung in einer entsprechenden äußeren Form zum Ausdruck zu bringen.

Haben Sie schon einmal Eurythmie gemacht?
Tun Sie es! Und beobachten Sie sich dabei!

Sie hören beispielsweise ein Musikstück.
Wie ist der Gang der Melodie, der Schritt des Rhythmus,
was erlebe ich dabei?

Wenn Sie sich nach einiger Übung genauer beobachten,
können Sie gewahr werden, wie Sie beim Zuhören innerlich
feine Bewegungen ausführen. Während Sie die Melodie
eines Stückes lauschend verfolgen, bewegen Sie sich
in zarter Weise seelisch mit.

Wenn Sie nun beginnen Eurythmie zu machen,
dann versuchen Sie eigentlich nichts anderes, als diese innerlich erlauschte seelische Geste in einer äußeren körperlichen Gebärde sichtbar zum Ausdruck zu bringen.

Im Idealfall ergibt sich dann, dass die äußerlich sichtbare Bewegung genau dem entspricht, was Sie innerlich seelisch beim Hören des Musikstückes oder des Gedichtes erlebten.

Höchste Konzentration ist erforderlich , um diese Einheit
der seelischen und der körperlichen Bewegung herzustellen.

Man erlebt, dass Eurythmie genau die entgegengesetzte Wirkung hat wie die  Begegnung mit einem Fernseher
oder einem PC.
 

In der Beschäftigung mit der Eurythmie wird wieder zusammengebracht, was Medien trennen.


Denn im Zuhören der im Moment von einem Menschen auf einem Klavier oder einem anderen Instrument gespielten Musik bin ich ganz in der Gegenwart.

Ich nehme mit allen Sinnen die Musik wahr und bewege mich
in bestimmter Weise dazu. Der eigene Körper wird dabei
in seiner Ganzheit wahrgenommen.

Meine ungeteilte Aufmerksamkeit versucht die eigene
leibliche Bewegung mit den in der Musik erlebten inneren Bewegungsgesetzen in Einklang zu bringen.
 

Seele und Körper werden eins.


Eurythmie kann man also tatsächlich im übertragenen Sinne
als sichtbare Sprache und anschaubare Musik bezeichnen.

Die inneren seelischen Gesten, die in Sprache und Musik leben, finden in leiblichen Gebärden ihren entsprechenden Ausdruck. So kann durch die Eurythmie wieder geheilt werden, was die Fernseh- und die Computerkultur auseinander reißt.

Ein notwendiges Gegengewicht

Mit Eurythmie kann man ein Gegengewicht schaffen, das die Einseitigkeiten,
welche die technische Kultur in uns veranlagt, ausgleichen kann. In ihr ist eine Möglichkeit gegeben,

den tendenziell krankmachenden Einflüssen der Medien einen gesundenden Einfluss entgegenzusetzen.

Das ist umso notwendiger, je jünger der Mensch ist.
Von diesem Gesichtspunkt aus ist leicht einsehbar, dass Eurythmie nicht nur eine 'schöne Beigabe' des Fächerkanons
der Waldorfschulen ist, sondern dass ihr ein fester Platz im Schulalltag aller Schulen gebührt.

Eurythmie

wird im Zeitalter der Maschine von Tag zu Tag aktueller und wichtiger.

Denn sie ist eine Kunst, mit der Kinder üben können, ihren Körper beseelte Bewegungen ausführen zu lassen.

von Edwin Hübner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pädagogik, Sinnes- und Medienökologie (IPSUM) in Stuttgart

der NEUE Mensch